Ute Ziegler, Senior Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Forschungsgruppe Innenarchitektur, Hochschule Luzern – Technik & Architektur
Die Erkenntnis, dass die Gestaltung des Umfeldes einen Einfluss auf die Genesung hat und sogar therapeutisch eingesetzt werden kann, reicht bis in die antiken Tempelanlagen des Asklepieion von Kos zurück. Bereits im 5. Jahrhundert vor Christus war der Arzt Hippokrates davon überzeugt, dass Krankheiten von äusseren Faktoren ausgehen. Als therapeutische Mittel berücksichtigte er in seinem antiken Krankenhaus neben Diät, Gymnastik, Baden im Meer und beruhigenden Balsamen deshalb auch Umgebungsfaktoren wie die geografische Lage und die Architektur. Im 19. Jahrhundert, genauer 1863, verfasste die britische Krankenschwester Florence Nightingale mit ihrer Schrift «Notes on Hospitals» 1 ein Standardwerk für die Gestaltung von Spitälern, die die Genesung unterstützt. Dabei hat sie bis heute gültige Faktoren wie die Zufuhr von frischer Luft, Wärme, gute Beleuchtung, sauberes Wasser und die Eliminierung von Geräuschen identifiziert.
Die in den 1970er Jahren durchgeführte Pilotstudie «View through a window may influence recovery from surgery»2 von Roger Ulrich zeigt sehr deutlich, dass bereits eine minimale Intervention, wie der visuelle Kontakt von Patientinnen und Patienten mit Pflanzen und Landschaften eine positive, die Heilung unterstützende Wirkung hat. Diese Studie ist der Beginn des sogenannten Evidence-based-Designs Bauen für Körper und Seele. Niemand ist gerne krank, niemand gerne im Spital. Eine heilsame Umgebung kann nachweislich das Wohlbefinden stärken und die Genesung beschleunigen. Die «Healing Architecture» verfolgt neben planerischen auch wissenschaftliche Ziele. Die Illustration zeigt in abstrahierter Form, wie rein funktionalistische Aspekte eines Patientenzimmers mit forschungsbasierten emotionalen und atmosphärischen Qualitäten überlagert werden können. (EBD). Bei diesem forschungsbasierten
Ansatz werden die Auswirkungen von räumlichen Gestaltungsfaktoren auf die Gesundheit und Genesung von Patienten3 seit über 30 Jahren systematisch wissenschaftlich untersucht und sind damit ein wichtiger Bestandteil von Healing Architecture.
Patienten, Personal und Besucher
Evidence-based-Design strebt Gestaltungsentscheidungen an, die auf der Grundlage von gut dokumentierter Forschung und Best Practice getroffen werden und für den Bau von Spitälern und Pflegeeinrichtungen eingesetzt werden können. Ziel ist es, die Genesungsprozesse durch eine spezifische Kombination von Gestaltungsfaktoren zu unterstützen und zu verbessern. Durch den Einsatz von EBD wurden unter anderem die Reduktionen von Aufenthaltsdauer, Medikamenteneinnahme, Infektionen und Stürzen sowie die Vermeidung von Ängsten, Stress und
Delir nachgewiesen. Darüber hinaus stehen bei EBD auch die Verbesserung und die Optimierung der Arbeitsprozesse und Abläufe des Personals sowie die Steigerung der Aufenthaltsqualität von Angehörigen bei ihren Besuchen im Fokus. Neben der Gestaltung von Oberflächen und Räumen zielt diese ganzheitliche Herangehensweise darauf ab, positive Erlebnisse und Erfahrungen zu schaffen. Diese sind notwendig, weil sich Patienten, unabhängig von Alter, Geschlecht oder Krankheitsbild, im Spital tendenziell ausgeliefert fühlen, da sie Verantwortung und Kontrolle oft abgeben müssen. Deutlich wird dies beispielsweise vor einer Operation, wenn sie durch lange gleichförmige und funktionalistisch gestaltete Korridore geführt werden, die keinerlei positive Abwechslung und Ablenkung bieten. Bei Healing Architecture werden diese rein funktionalistischen Aspekte bei der Gestaltung von Innenräumen in Spitälern hinterfragt. Neben Funktion und Effizienz geht es um die emotionalen und atmo - sphärischen Qualitäten von Räumen, die durch adäquate Farbgestaltung, warme Materialien wie Holz und Textilien sowie abgestimmte Lichtqualitäten und akustisch wirksame Oberflächen erreicht werden. Die gezielte Nutzung von wissenschaftlichen Erkenntnissen stellt wirkungsvolle Werkzeuge für die Planung und Gestaltung von Innenräumen zur Verfügung, die in Forschungsprojekten auch empirisch überprüfbar sind.
Neben den empirischen Gestaltungsansätzen, die auf Evidence-based-Design beruhen, stehen bei Healing Architecture auch die Bedürfnisse der Patienten im Vordergrund. Je nach Krankheitsbild, Medikation, Alter und psychischem Zustand nehmen diese ihr Umfeld unterschiedlich wahr. Überträgt man diese Erkenntnisse auf die Gestaltung von Spitalumgebungen, so kann ein und dasselbe standardisiert gestaltete Patientenzimmer unterschiedlich auf die jeweiligen Patienten und ihre Besucher wirken. Das stellt alle Beteiligten, die bei Neubauten oder Sanierungen von Gesundheitsbauten involviert sind, vor ungewöhnliche Herausforderungen, da es keine verbindlichen Standards gibt. Diesen Umstand berücksichtigt die bedürfnisorientierte Planung als einen wesentlichen Teil von Healing Architecture. Eine Methode, die die Bedürfnisse der Menschen, die sich vor allem bei schwerer Krankheit ändern, im Fokus hat. In Workshops mit Patienten, Pflegenden und Ärzten werden gemeinsam Ideen und Lösungsvorschläge für Räume, Versorgungen und Dienstleistungen entwickelt und für die Planung und Gestaltung nutzbar gemacht. So können vielfältige Bedürfnisse und Probleme adressiert werden, die den Planern und Gestaltern oft nicht bewusst zugänglich sind. Die positiven Effekte beziehen sich auf Themen wie unter anderem Patientenautonomie, Kontrolle, Selbstverantwortung, Schutz der Privatsphäre, die das Wohlbefinden und nachgelagert die Genesung entscheidend beeinflussen.
Keine Patentlösung
Ein einfaches Rezept für die Gestaltung von Innenräumen in Spitälern und Pflegeeinrichtungen, das für jede Situation passt, gibt es nicht. Es ist vielmehr ein komplexer Prozess, der immer wieder aufs Neue angegangen werden muss mit detaillierten Bestandsaufnahmen und Analysen, um daraus adäquate Gestaltungskriterien ableiten zu können. Im Sinne von Healing Architecture hilft jedoch eine ganzheitliche Sicht, bei der nicht nur die Prozesse und technische Infrastruktur im Zentrum stehen, sondern auch die Bedürfnisse von Patienten, Besuchern und Personal bei der Umsetzung berücksichtigt werden.